Die Capitalization-of-Earnings-Methode gehört zu den Ertragswertverfahren der Unternehmensbewertung. Die Ertragswertverfahren zählen, neben der Marktwertmethode (Market Approach) und dem Substanzwertverfahren (Asset Approach), zu den drei zentralen Methoden der Unternehmensbewertung. Innerhalb der Ertragswertverfahren zählen die Capitalization-of-Earnings-Methode und die Discounted-Cashflow-Methode (DCF) zu den am häufigsten genutzten Methoden.
Bei der Capitalization-of-Earnings-Methode wird ein Unternehmen auf Basis seiner zukünftig erwarteten Gewinne bewertet (einkommensorientierte Unternehmensbewertung). Im Kern geht es also um die Frage: „Wie viel ist dieses Unternehmen heute wert, gemessen an dem Geld, das es in Zukunft voraussichtlich einbringen wird?“
Dahinter steht die Annahme, dass der Unternehmenswert direkt mit der Fähigkeit verknüpft ist, über längere Zeit hinweg stabile Gewinne oder Cashflows zu erwirtschaften.

Wie du die Capitalization-of-Earnings-Methode anwendest
Grundsätzlich wird der Unternehmenswert ermittelt, indem die jährlichen Gewinne durch eine sogenannte Kapitalisierungsrate geteilt werden. Die Formel lautet:

Jährliche Gewinne
Die jährlichen Gewinne, auch Expected Normalized Earnings genannt, beschreiben den Betrag, den ein Unternehmen voraussichtlich pro Jahr erwirtschaftet. Um ein realistisches Bild zu erhalten, werden diese Werte in der Regel normalisiert. Das bedeutet, dass Sondereffekte, einmalige Ausgaben oder nicht-betriebliche Erträge herausgerechnet werden.
In einer Gewinn- und Verlustrechnung werden die Ergebnisse Schritt für Schritt ermittelt – vom operativen Ergebnis bis hin zum endgültigen Jahresüberschuss. Für die Capitalization-of-Earnings-Methode kommen je nach Kontext unterschiedliche Gewinnkennzahlen zum Einsatz:
1. EBIT oder EBITDA
Bei mittelgroßen und großen Unternehmen greifen Analyst:innen in der Regel auf EBIT oder EBITDA zurück.
- EBIT („Earnings Before Interest and Taxes“) = Gewinn vor Zinsen und Steuern.
- EBITDA („Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization“) = Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen.
Diese Kennzahlen zeigen, wie profitabel das Tagesgeschäft ist, unabhängig von Finanzierung oder Abschreibungsmethoden, und eignen sich gut für den Vergleich zwischen Unternehmen.
Bei der Ermittlung der jährlichen Gewinne wählt man EBIT, wenn Investitionen und Abschreibungen die künftige Ertragskraft realistisch beeinflussen, und EBITDA, wenn man diese Effekte ausklammern will, um die operative Leistung isoliert oder im Vergleich zu anderen Unternehmen darzustellen.
2. Adjusted Net Income (angepasstes Nettoergebnis)
In größeren Unternehmen wird häufig das Net Income als Ausgangspunkt genommen, das aber um außergewöhnliche oder einmalige Effekte bereinigt wird, wie zum Beispiel Restrukturierungskosten oder Rechtsstreitigkeiten. Das Ergebnis ist ein Bild der regelmäßig erzielbaren Gewinne des Unternehmens.
3. Seller’s Discretionary Earnings (SDE)
Vor allem bei kleinen, inhabergeführten Unternehmen wird SDE als Basis genutzt. Dabei wird der ausgewiesene Gewinn um Gehalt, Benefits und private Ausgaben des Eigentümers sowie um einmalige oder nicht betriebsnotwendige Posten bereinigt. So zeigt SDE, wie viel Geld ein neuer Eigentümer realistisch aus dem Unternehmen ziehen könnte.
4. Net Income (Jahresüberschuss)
Das Net Income ist die „Bottom Line“. Es zeigt den Gewinn, der nach Abzug sämtlicher Kosten übrig bleibt – von Löhnen und Material über Zinsen und Steuern bis hin zu Abschreibungen. Für Eigentümer:innen ist es besonders relevant, da es den endgültigen Jahresgewinn abbildet.
Da sich die Capitalization-of-Earnings-Methode stark auf die Gewinnentwicklung stützt, eignet sie sich vor allem dann, wenn ein Unternehmen relativ konstante und vorhersehbare Erträge erzielt. Bei stark schwankenden Zahlen ist dieses Verfahren weniger geeignet.
In der Praxis greifen Analyst:innen oft auf historische Durchschnittswerte zurück, zum Beispiel den Mittelwert der letzten drei bis fünf Jahre, oder arbeiten mit Prognosen. Teilweise wird auch beides kombiniert, um Ausreißer zu glätten und ein möglichst realistisches Bild zu erhalten.
Kapitalisierungsrate (Cap Rate)
Die Kapitalisierungsrate, oft als “Cap Rate” abgekürzt, beschreibt die erwartete Rendite einer Investition unter Berücksichtigung des damit verbundenen Risikos.
Formel:

Im Kern beantwortet die Cap Rate die Frage: “Welche Rendite verlangen Investor:innen für das eingegangene Risiko, und wie wirkt sich erwartetes Wachstum darauf aus?“
Die Cap Rate wird in zwei Schritten ermittelt:
1. Berechnung der erwarteten Rendite:
Ausgangspunkt ist der risikofreie Zinssatz, also die Rendite, die ohne Risiko erzielbar wäre (z. B. mit Staatsanleihen). Darauf wird eine Risikoprämie aufgeschlagen, die die Unsicherheiten des Unternehmens berücksichtigt, wie Markt- oder Branchenrisiken, Abhängigkeit von wenigen Kunden oder die Stabilität der Gewinne
Wie hoch dieser Aufschlag ausfällt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Eine stabile Branche wie etwa die Energieversorgung oder der Lebensmitteleinzelhandel gilt als risikoärmer als zyklische Sektoren wie Automobil oder Luxusgüter. Auch die Unternehmensgröße spielt eine Rolle, denn kleinere Firmen sind oft krisenanfälliger und bekommen daher eine höhere Prämie.
Hinzu kommt die Betrachtung der Finanzstruktur: Unternehmen mit hoher Verschuldung oder einer starken Abhängigkeit von wenigen Kund:innen und Lieferanten gelten ebenfalls als riskanter. Schließlich beeinflusst auch das gesamtwirtschaftliche Umfeld die Höhe der Risikoprämie, da Investor:innen in unsicheren Zeiten generell höhere Renditen fordern.
In der Praxis bewegen sich diese Aufschläge meist in einer Spanne von 3 bis 5 Prozentpunkten für etablierte und risikoarme Unternehmen. Bei kleineren oder stärker schwankenden Firmen kann die Risikoprämie aber auch 6 bis 10 Prozentpunkte oder mehr betragen. Auf diese Weise wird die erwartete Gesamtrendite realistisch an das individuelle Risikoprofil des Unternehmens angepasst.

2. Abzug der Wachstumsrate von der erwarteten Rendite:
Von der erwarteten Rendite wird die langfristige Wachstumsrate der Gewinne abgezogen. Dadurch entsteht der Kapitalisierungszinssatz (Cap Rate). Der Gedanke dahinter: Ein Unternehmen, das seine Gewinne Jahr für Jahr steigern kann, ist heute mehr wert als ein Unternehmen mit stagnierenden Gewinnen. Das zukünftige Wachstum reduziert also die Renditeanforderung, weil Investor:innen einen Teil ihrer Rendite durch steigende Gewinne erhalten.
Beispiel:
Angenommen, der risikofreie Zinssatz beträgt 3 %. Für das spezifische Unternehmensrisiko wird eine Risikoprämie von 5 % angesetzt. Damit ergibt sich eine erwartete Rendite von 8 %. Zieht man nun die erwartete Wachstumsrate des Unternehmens von 2 % ab, erhält man eine Cap Rate von 6 %.

Typische Cap Rates für kleine Unternehmen liegen zwischen 20 % und 25 %. Die Cap Rate verknüpft Risiko, Renditeerwartung und Wachstum in einer einzigen Kennzahl. In der Capitalization-of-Earnings-Methode ist sie der zentrale Faktor, der entscheidet, wie die erwarteten Gewinne in den heutigen Unternehmenswert übersetzt werden.
Die Capitalization-of-Earnings-Methode kombiniert also zwei zentrale Elemente: die jährlichen Gewinne und die Kapitalisierungsrate, die Risiko und Wachstum in einer Zahl zusammenfasst. Teilt man die erwarteten Gewinne durch die Cap Rate, erhält man den heutigen Unternehmenswert.
Damit ist die Capitalization-of-Earnings-Methode vor allem für Unternehmen geeignet, deren Erträge stabil und gut prognostizierbar sind. Sie liefert ein klares, nachvollziehbares Ergebnis und macht sichtbar, wie eng der Unternehmenswert mit der Fähigkeit eines Unternehmens verbunden ist, verlässlich Gewinne zu erwirtschaften.
Typische Interviewfragen zur Capitalization-of-Earnings-Methode
Fragen zur Capitalization-of-Earnings-Methode gehören zu den Klassikern in Finance-Interviews – perfekt, um dein Bewertungs-Know-how unter Beweis zu stellen.
1. Erkläre mir die Capitalization-of-Earnings-Methode.
Die Capitalization-of-Earnings-Methode ist ein Verfahren der Unternehmensbewertung, das auf den künftig erwarteten Gewinnen basiert. Im Kern geht es darum, den heutigen Unternehmenswert aus den jährlichen Gewinnen abzuleiten, indem man diese durch eine Kapitalisierungsrate teilt. Die Formel lautet also: Unternehmenswert = Normalisierte Jahresgewinne ÷ Kapitalisierungsrate
Die Kapitalisierungsrate spiegelt dabei die Renditeanforderungen der Investor:innen wider, also den risikofreien Zinssatz plus eine Risikoprämie für unternehmensspezifische Faktoren, abzüglich der erwarteten Wachstumsrate.
Die Wahl der zugrunde liegenden Gewinnkennzahl hängt vom Kontext ab: Bei kleinen, inhabergeführten Firmen nutzt man oft SDE (Seller’s Discretionary Earnings), bei mittelgroßen und großen Unternehmen eher EBIT oder EBITDA, oder auch Adjusted Net Income, wenn außergewöhnliche Effekte bereinigt werden sollen.
Die Methode eignet sich besonders für Unternehmen mit stabilen, gut prognostizierbaren Erträgen, weil sie keine detaillierte Analyse einzelner Cashflows oder Phasen wie im DCF erfordert. Bei Startups oder stark schwankenden Geschäftsmodellen ist sie daher weniger aussagekräftig.
2. Welche Grenzen hat die Capitalization-of-Earnings-Methode?
Die Capitalization-of-Earnings-Methode eignet sich vor allem für Unternehmen mit stabilen und gut planbaren Gewinnen, etwa in etablierten und wenig schwankungsanfälligen Märkten. Für Startups, stark volatile Branchen oder sehr schnell wachsende Unternehmen ist sie dagegen weniger geeignet, da die künftigen Erträge hier schwer vorherzusagen sind.
Ein zentrales Problem besteht darin, dass die Methode sehr empfindlich auf ungenaue Gewinnschätzungen oder fehlerhafte Kapitalisierungsraten reagiert. Schon kleine Abweichungen können den Unternehmenswert deutlich verändern.
Außerdem berücksichtigt die Capitalization-of-Earnings-Methode weder den Wert der Vermögensgegenstände noch den zeitlichen Verlauf der Cashflows und kann bei komplexen Geschäftsmodellen wichtige Details ausblenden, da sie diese auf eine einzige Kennzahl reduziert.
3. Worauf kommt es an, wenn man ein Unternehmen über die Capitalization-of-Earnings-Methode bewertet?
Wenn man ein Unternehmen über die Capitalization-of-Earnings-Methode bewertet, sollten folgende Punkte geklärt werden:
- Wie stabil und nachhaltig sind die Gewinne?
Wurden außergewöhnliche Ereignisse korrekt herausgerechnet (Normalisierung)? - Welche langfristige Wachstumsrate ist realistisch?
- Wie riskant ist das Geschäftsmodell?
- In welchem Marktumfeld und welcher Branche ist das Unternehmen aktiv?
- Gibt es vergleichbare Unternehmensverkäufe oder Cap Rates in ähnlichen Märkten?
4. Welche Arten von Gewinnkennzahlen (Earnings) werden bei der Capitalization-of-Earnings-Methode genutzt?
Bei der Capitalization-of-Earnings-Methode werden je nach Geschäftsmodell unterschiedliche Gewinnkennzahlen herangezogen.
Am häufigsten nutzt man EBIT oder EBITDA, da sie zeigen, wie viel das Unternehmen aus seinem Kerngeschäft verdient – unabhängig von Finanzierung, Steuern oder Abschreibungen. In der Immobilienbewertung spielt außerdem das Net Operating Income (NOI) eine wichtige Rolle, weil es den Nettobetriebsertrag aus Mieteinnahmen nach laufenden Kosten darstellt.
Ergänzend gibt es noch weitere Kennzahlen, die in bestimmten Situationen relevant sind. Das Adjusted Net Income wird beispielsweise genutzt, wenn außergewöhnliche oder nicht betriebsnotwendige Posten herausgerechnet werden sollen, um die bereinigten, wiederkehrenden Gewinne klarer auszuweisen. Bei kleineren, inhabergeführten Unternehmen verwendet man häufig die Seller’s Discretionary Earnings (SDE), die zusätzlich das Inhabergehalt und private Ausgaben berücksichtigen, um den für einen Käufer tatsächlich verfügbaren Cashflow darzustellen.
5. Wie passt man Gewinne um einmalige Effekte an?
Zur Normalisierung der Gewinne analysierst du frühere Jahresabschlüsse und streichst alles, was einmalig, ungewöhnlich oder nicht nachhaltig ist. Beispiele:
- Einmalige Rechtskosten oder -erträge addieren oder abziehen
- Gewinne oder Verluste aus dem Verkauf von Vermögenswerten entfernen
- Außergewöhnliche Reparaturen oder Anschaffungen wieder hinzufügen
- Inhaberbezogene Ausgaben zum Gewinn hinzuzählen, z. B. überhöhte Gehälter oder private Ausgaben
Ziel ist es, ein realistisches Bild der dauerhaft erzielbaren operativen Gewinne zu bekommen.
6. Wie unterscheidet sich die Capitalization-of-Earnings-Methode von der Discounted-Cashflow-Methode (DCF)?
Die Capitalization-of-Earnings-Methode ist einfacher in ihren Annahmen: Sie nutzt nur einen Jahreswert und teilt diesen durch eine Cap Rate. Das funktioniert gut bei reifen Unternehmen mit gleichbleibenden Erträgen, unter der Annahme eines stabilen Wachstums in der Zukunft.
Die DCF-Methode dagegen schaut sich mehrere Jahre im Detail an, meist 5 bis 10, und diskontiert jeden einzelnen zukünftigen Cashflow zurück auf den heutigen Wert. Dadurch lassen sich schwankende Gewinne, veränderte Risiken oder Wachstumssprünge besser abbilden.
Kurz gesagt: DCF ist flexibler und genauer, aber auch datenintensiver. Die Capitalization-of-Earnings-Methode ist einfacher und pragmatischer, aber nur sinnvoll, wenn das Geschäftsmodell stabil läuft.
👉 In unserer Case-Sammlung findest du weitere Übungen zur Capitalization-of-Earnings-Methode und zur Discounted-Cashflow-Bewertung (DCF).