Was hat Mathe mit Selbstvertrauen zu tun?
Mathe ist für viele Kandidat:innen ein großes Thema und bringt sie im Case-Interview oft aus dem Konzept. Häufig leidet das Selbstvertrauen genau an dieser Stelle. Warum das so ist, kann von Person zu Person unterschiedlich sein. Grundsätzlich lassen sich aber zwei Gruppen unterscheiden: Die „Ich bin kein Zahlenmensch“-Fraktion und die mit quantitativem Background, die sich trotzdem schwertun.
Fangen wir mit der ersten Gruppe an: Denjenigen, die von sich sagen, Mathe sei einfach nicht ihr Ding. Bei ihnen liegt das Problem oft in einem von zwei Bereichen. Entweder fehlt schlichtweg die Erfahrung, weil sie nie viele Berührungspunkte mit Zahlen hatten, grundsätzlich aber gar nicht negativ dazu eingestellt sind. Oder es gibt negative Erfahrungen, beispielsweise mit Mathe in der Schulzeit, frustrierenden Uni-Kursen oder schwierigen Projekten im Job. Und genau deshalb meiden sie alles, was irgendwie mit Rechnen zu tun hat.
Die zweite Gruppe besteht aus Leuten, die Mathe eigentlich beherrschen und sich im Umgang mit Zahlen wohlfühlen, aber trotzdem regelmäßig an Case-Mathe scheitern. Hier liegt die Ursache meistens in einem von zwei Bereichen: Entweder fehlt die gezielte Vorbereitung auf genau diesen Mathe-Typ, der im Consulting gefragt ist, oder der Druck in der Interviewsituation sorgt dafür, dass es einfach nicht läuft.
Wer nicht auf die Besonderheiten von Mathe im Consulting vorbereitet ist, hat oft Schwierigkeiten beim Kopfrechnen, beim klaren Strukturieren der Aufgaben, beim präzisen Rechnen oder bei der Interpretation der Ergebnisse. Und wer unter Druck steht, verliert manchmal den Überblick, obwohl die Inhalte eigentlich sitzen – oft, weil die Situation emotional aufgeladen ist oder man sich selbst zu sehr stresst.
Im nächsten Schritt schauen wir uns diese Gründe im Detail an.
Typ 1: „Ich bin einfach kein Zahlenmensch.“
„Ich bin einfach nicht der Mathe-Typ…Wenn ich spontan etwas berechnen soll, fühle ich mich total überfordert – manchmal wie blockiert. Schriftlich komme ich noch halbwegs klar, aber Kopfrechnen liegt mir überhaupt nicht. Ich fühle mich einfach unsicher bei allem, was mit Zahlen zu tun hat.“
(Beitrag aus dem PrepLounge Q&A)
Ich bin überzeugt: Jede:r kann Case-Mathe lernen. Als ich kurz vor dem Abi stand, war ich noch fest davon überzeugt, etwas mit Literatur oder Englisch zu studieren. Mathe war nie mein Lieblingsfach und um ehrlich zu sein, war ich eher mittelmäßig. Erst später, als ich gemerkt habe, wie wichtig Mathe für meine Finanzen und meine berufliche Entwicklung ist, bin ich dem Thema näher gekommen. Und erst durch diese Nähe fing ich an, Mathe zu mögen. Das ist oft so: Wir fangen an, Dinge zu mögen, sobald wir sie verstehen oder besser darin werden.
Neben meiner eigenen Geschichte finde ich das Beispiel von Professorin Barbara Oakley besonders inspirierend. Sie hat das Buch Learning How to Learn geschrieben und sagte früher selbst, sie sei „allergisch gegen Mathe”. Sie hat Literatur studiert, war Kommunikationsoffizierin in der US-Armee und irgendwann kam der Wunsch nach etwas anderem. Sie wollte Ingenieurin werden. Dafür musste sie sich mit Mathe anfreunden. Und sie hat es nicht nur geschafft, sie wurde sogar Professorin für Ingenieurwissenschaften an der Universität von Oakland.
Viele von uns glauben, sie seien „nicht gemacht“ für Zahlen oder lernen „zu langsam“ – zwei Gedanken, die das Selbstbewusstsein enorm bremsen. Professorin Oakley dreht das komplett um. Sie zeigt, dass genau das Stärken im Lernprozess sein können. Wenn du eine neue Fähigkeit lernst oder neu in einem Job bist und das Gefühl hast, nicht mit allen anderen mithalten zu können, nimm das an. Oakley sagt: Genau diese Anfängersicht hilft dir dabei, offen zu bleiben und wirklich zu lernen. Zu viel Selbstsicherheit kann leicht dazu führen, dass man eigene Schwächen übersieht. In diesem Zusammenhang wird Bescheidenheit zu einer echten Stärke. Besonders schön ist der Vergleich, den Oakley für langsames Lernen verwendet: Sie spricht von einem Rennfahrer und einem Wanderer. Der Rennfahrer ist zwar schneller am Ziel, aber der Wanderer nimmt unterwegs mehr wahr, erkennt Zusammenhänge besser und versteht die Landschaft wirklich.
Mein Tipp für alle, die von sich denken, sie seien „nicht gut mit Zahlen“: Glaub an dich – und das ist kein oberflächliches Motivationsgerede, sondern ernst gemeint. Versuche, die innere Stimme, die ständig zweifelt oder dich kleinmacht, etwas leiser zu stellen. Erst dann kannst du dich wirklich auf den Lernprozess einlassen.
Zweitens: Lerne Case-Mathe Schritt für Schritt – von den Grundlagen bis zu den komplexeren Themen, die in Interviews abgefragt werden.
Im Folgenden findest du eine kurze Zusammenfassung der vier Schritte, die Barbara Oakley in Learning How to Learn (2018) beschreibt. Diese haben mir persönlich geholfen, neue Inhalte nachhaltig zu verstehen und sie könnten dir genauso weiterhelfen.
Beim Lernen ist es wichtig, zwischen Fokusmodus und Diffusmodus zu wechseln. Fokusmodus heißt: Volle Konzentration – zum Beispiel beim Üben von Rechenaufgaben. Im Diffusmodus lässt du das Thema bewusst ruhen und dein Gehirn verarbeitet im Hintergrund weiter. Oft entstehen dabei unbewusst neue Verknüpfungen.
Wichtig: Du musst dranbleiben. Übe täglich, selbst wenn es nur 30 Minuten sind. Die Pomodoro-Technik kann dir dabei helfen, fokussiert zu bleiben und deine Lerneinheiten konsequent umzusetzen. Diese Technik ist eine Zeitmanagement-Methode, bei der du 25 Minuten konzentriert arbeitest und danach eine 5-minütige Pause machst. Nach vier dieser sogenannten "Pomodoros" folgt eine längere Pause von etwa 15-30 Minuten.
Im nächsten Schritt solltest du überprüfen, ob du wirklich verstanden hast, was du gelernt hast. Frag dich: Welche Formeln habe ich heute gelernt? Worum geht’s dabei eigentlich? Wofür kann ich das anwenden? Dieses aktive Abrufen hilft dir viel mehr als das bloße Durchgehen von Notizen.
Und zum Schluss: Wiederhole die Aufgaben so lange, bis du sie sicher beherrschst. Je routinierter du bist, desto entspannter kannst du im Interview reagieren – auch wenn der Druck hoch ist.
Typ 2: „Ich hab doch einen quantitativen Background – und trotzdem läuft’s nicht.“
„(...) Der Interviewer war ein Partner und hat mir einen Case mit ziemlich vielen Zahlen gegeben. Mein Framework war gut, er hat ein bisschen nachgehakt und ich habe meinen Denkprozess erklärt. Dann ging’s ans Rechnen. Eigentlich nichts Kompliziertes, nur viele Multiplikationen. Ich hab gesagt, was ich rechnen will, und dann losgelegt. Und hab bestimmt drei Mal irgendwo eine Null zu viel reingerechnet. Das hat alles ziemlich viel Zeit gefressen, und irgendwann hat er das Rechnen für mich übernommen. Ich hab danach das Gefühl nicht losbekommen, dass ich durch dieses Mathe-Gestolper das ganze Interview gegen die Wand gefahren hab. Das Ironische: Ich hab Mathe studiert. (...)“
(Beitrag aus dem PrepLounge Q&A)
Viele mit einem quantitativen Hintergrund denken, dass sie Case-Mathe locker hinbekommen und merken dann schnell, dass es doch komplizierter ist als gedacht. Der Grund: Case-Mathe funktioniert ganz anders als Mathe an der Uni oder das, was man aus seinem alten Job kennt.
Im Studium oder in der Forschung sind Aufgaben meist klar definiert. Du kannst Dinge häufig in Ruhe methodisch durchdenken, präzise rechnen und brauchst selten strenges Zeitmanagement. Im Interview dagegen musst du unter Druck schnell, pragmatisch und im Kopf rechnen, meist ohne Taschenrechner. Genau das ist für viele, die eigentlich gut in Mathe sind, eine Umstellung.
Ein weiterer Punkt: Wer sich mit komplexen Methoden auskennt, neigt oft dazu, einfache Aufgaben zu „überdenken“. Case-Mathe soll gar nicht kompliziert sein. Es darf anspruchsvoll sein, ja, aber es muss logisch und effizient lösbar bleiben.
Dazu kommt: In vielen quantitativen Studiengängen steht der Umgang mit Unsicherheit oder unklaren Informationen nicht im Fokus. In Case-Interviews gehört genau das aber dazu. Du musst mit Lücken und Schätzungen umgehen können und trotzdem strukturiert vorgehen. Das ist ein Skill, den viele unterschätzen.
Und zuletzt: Wer im Alltag viel mit Excel, Taschenrechnern oder Analyse-Tools arbeitet, verliert oft die Routine im Kopfrechnen, was sich in Interviews schnell rächt.
Was hilft? Üben. Und zwar gezielt. Statt ganze Cases durchzuspielen, lohnt es sich, Case-Mathe isoliert zu trainieren – besonders die Bereiche, in denen du immer wieder ins Stocken gerätst. Denn auch in der Mathe-Logik eines Cases gibt es einen klaren Ablauf. Wenn du verstehst, an welchem Punkt du scheiterst, kannst du genau dort ansetzen. Typischerweise besteht der Rechenteil im Case aus neun Schritten. Frag dich selbst: An welcher Stelle hakt es bei mir?
- Hast du eine wiederholbare Methode, mit der du systematisch durch Matheaufgaben gehst?
- Verstehst du die Daten, die dir gegeben werden, wirklich?
- Bist du sicher im Umgang mit typischen Kennzahlen wie NPV, Break-even, Margen usw.?
- Kannst du das Problem in eine klare Struktur übersetzen (z.B. als Gleichung, Tabelle oder Diagramm)?
- Weißt du, welche Informationen fehlen und kannst sie sinnvoll anfragen?
- Kannst du dem/der Interviewer:in deinen Ansatz klar erklären und logisch herleiten, was du brauchst?
- Rechnest du sauber, schnell und effizient, inklusive Rundungen oder Shortcuts, wenn nötig?
- Überprüfst du deine Ergebnisse, bevor du sie aussprichst?
- Und: Leitest du aktiv Erkenntnisse ab aus dem, was du gerechnet hast?
Wenn du weißt, wo genau du ins Stolpern kommst, kannst du das gezielt üben. Nutze dafür zum Beispiel Rechen-Drills aus guten Casebooks oder geh Cases noch mal durch, die du schon kennst und konzentrier dich dabei nur auf den Mathe-Part. In einer Stunde schaffst du locker drei solcher Übungseinheiten und lernst deutlich mehr als in einer Stunde mit einem vollständigen Case, bei dem du den Rechenteil nur kurz durchgehst.
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